Die Schule: Ev. Schulzentrum Demmin
Das Ziel: Kurzfristig: Erarbeitung einer eigenen kleinen Theaterproduktion innerhalb eines Schulhalbjahres // Langfristig: Etablierung kontinuierlicher Theatergruppen an der Schule
Die Gruppe: Leitung: Herr Braun // Teilnehmer*innen: 12 Schüler*innen der Klassen 7 bis 10
Die Erwartungen: Die Ev. Schule hat theaterspiel schon öfters mit Stücken und Workshops zu Gast gehabt – außerdem ist Herr Braun als Deutsch- und DS-Lehrer nicht ohne Theatererfahrung. Neu ist der improvisatorische Ansatz: Ohne festen Text haben alle Beteiligten noch nicht gearbeitet. Zudem ist die Gruppe klassenübergreifend. Ich bin gespannt, wie die Teilnehmer*innen zusammen agieren werden.


Besuch 1: August 2020

Herr Braun machte mir schon im Mai klar: „Wenn die Pandemie uns lässt, werden wir das Theaterstarter-Projekt durchziehen. Besuchstermine planen wir auf jeden Fall jetzt schon – keine Planung ist auch keine Lösung.“ Dieser erfrischend pragmatische Ansatz in unsicheren Zeiten zeigte sich auch bei meinem ersten Besuch: Die Gruppe ist noch nicht ganz komplett, aber jetzt schon bunt gemischt. Schüler*innen von der 7. bis zur 10. Klasse haben sich zusammengefunden, mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Lernbedingungen. Ich merkte jedoch deutlich: Hier wird Inklusion nicht nur propagiert, sondern gelebt. Die Offenheit der Gruppe untereinander und die Bereitschaft aller, sich auf neue Dinge – z.B. Theaterübungen –  einzulassen hat mich sehr gefreut.

Bis zu unserem nächsten Treffen wird sich die Gruppe mit Herrn Braun näher mit dem Thema „Eine bessere Welt“ beschäftigen: Wie passt dieses Thema in die Lebenswelt der teilnehmenden Kids? Und welche Geschichte(n) fallen ihnen dazu ein?

Besuch 2: September 2020

Wie erfinden wir unser eigenes Stück Theater? Diese Frage stand im Zentrum meines zweiten Besuchs im Ev. Schulzentrum Demmin. Die bunte Truppe hatte jede Menge Ideen zum Thema „Eine bessere Welt“ – aber wie diese Ideen bündeln? Wie eine Geschichte daraus machen, mit Höhen und Tiefen – und auch noch mit passenden Bühnenrollen für alle Beteiligten?

Soviel sei verraten: Mit Elan und Interesse baute die Gruppe ein Stück-Gerüst, welches ihnen erlaubt vielschichtige Figuren auf die Bühne zu bringen. Es hat mich überrascht und gefreut, dass es den Teilnehmer*innen offensichtlich nicht um „gute“ oder „böse“ Charaktere geht – sondern um die Nuancen dazwischen: Die Schöne – zum Beispiel – , die allseits beliebt ist und reiche Eltern hat – und jede Menge Stress und Sorgen zuhause. Die Truppe aus Demmin will hinter die Fassade schauen – toll. Mal schauen, was sie dabei noch so alles entdeckt…

Besuch 3: Oktober 2020

Turbulente Zeiten am Ev. Schulzentrum in Demmin: Kurz vor meinem Besuch waren zwei Schüler corona-positiv getestet worden – allerdings hatten sie die Schule infiziert nicht mehr besucht, d.h. das Gesundheitsamt verhängte keine Quarantäne und auch externe Besucher (z.B. ich) durften an die Schule.

So weit, so aufregend. Die Atmosphäre an der Schule war dann auch etwas angespannt – was aber nicht bedeutete, dass keine Konzentration in der Theaterstarter-Gruppe vorhanden war. Allerdings fehlte über die Hälfte der Gruppe (die Eltern hatten die betreffenden Schüler*innen aus Vorsicht zu Hause gelassen). So widmeten wir uns intensiver der Ausgestaltung der Rollen: Wie spielt frau eine fiese Tratschtante, wenn sie selbst das genaue Gegenteil ist? Wie bringt ein eher ruhiger, schüchterner Schüler überzeugend einen Raufbold auf die Bühne?

Es war interessant für mich zu beobachten, wie die Jugendlichen – durch das Einfühlen in andere, für sie fremde Rollen – Selbstsicherheit gewinnen. Auch, wenn sie zunächst unsicher und zögerlich sind. Mut tut gut.

Besuch 4: November 2020

Herr Braun hatte für meinen vierten Besuch etwas Besonderes organisiert: Einen Probentag. Der Gruppe stand also einfach mehr Schulzeit für Theater zur Verfügung. Absolut gewinnbringend!

Denn wir konnten mit mehr Ruhe und Experimentierfreude die Geschichte der Gruppe zu Ende führen. Auffällig war, dass die Schüler*innen mehr Souveränität in ihrer Rollenausgestaltung zeigten.

Eine Hürde tauchte schließlich doch noch auf: Wie lässt sich Angst, Bedrohung, Zeitdruck spielen? (In der Geschichte gerät die Gruppe am Schluß in eine Notsituation und muss schnell handeln.) Die Teilnehmer*innen agierten insgesamt zu brav, zu sicher, dass die Sache schon gut ausgehen würde. Herr Braun entschied sich daraufhin für einen pädagogischen Kniff: Er sammelte ohne Kommentar die Handys der Schüler*innen ein und schloß sie in den Schulsafe. Aufgabe an die Gruppe: Wie bekommt Ihr Eure Handys aus dem Safe zurück – innerhalb von 10 Minuten? Plötzlich konnte die Gruppe im echten Leben ausprobieren wie man unter Druck zügig Pläne machen und ausführen kann. Diese Erfahrungen ließen sich dann prima auf die Rollen und die Geschichte übertragen – und so bekam die Notsituation im Stück richtig Biss!

Besuch 5: Dezember 2020

Der Dezember-Besuch zeigte zunächst zweierlei:

Erstens – Die ausgedachte Geschichte funktioniert als Stück.

Zweitens – Die Gruppe ist von diesem turbulenten Jahr ganz schön erschöpft: Probenzeiten mit der Gesamtgruppe sind spärlich gesät und Konzentration fällt zunehmend schwer.

Aber!

Flexible Umbesetzungen von einzelnen Rollen waren dann doch flink organisiert. Und nach konzentrationstechnischen Anlaufschwierigkeiten legte die Gruppe einen absolut überzeugenden Durchlauf hin, der weder von mir noch von Herrn Braun unterbrochen oder kommentiert wurde. Die Gruppe musste zum ersten Mal alles selbst tun: Die Szenenabfolge, die Texte, die jeweils benötigten Requisiten im Kopf haben und gemeinsam umsetzen. Das Ganze lief richtig gut!

Die Gruppe war daraufhin gelöst und guter Dinge. Nun steht als nächstes die interne Präsentation des Stücks an – soll heißen: Showtime vor ausgewählten Mitschüler*innen der Schule. (Für corona-entspanntere Zeiten sind weitere Auftritte für z.B. die Eltern geplant.) Die Gruppe ist etwas nervös: Wie werden die jüngeren und älteren Schüler*innen auf ihre Präsentation reagieren?

Herr Braun macht der Gruppe Mut – und diese ist währenddessen mucksmäuschenstill. Vielleicht begreifen die Teilnehmer*innen in diesem Moment, dass sie sich in den letzten Monaten getraut haben Neuland zu betreten.

Nun heißt es aber erstmal vor der geplanten Showtime Daumen drücken, dass die Pandemie eben diese nicht platzen lässt bzw. in 2021 verschiebt. So oder so: Die Demminer sind bereit.

UPDATE:

Die Demminer waren bereit – die Pandemie nicht. Nach Lockdown, Wechselunterricht und kurzem Corona-Ausbruch in der Schule ging bezüglich Präsentation garnix mehr.

Ein Rumpfteil der Gruppe präsentierte dann gegen Schuljahresende einen Auszug der erarbeiteten Szenen vor der Kamera eines Mitschülers – einfach, um den Teilnehmer*innen eine Art von Projekt-Abschluss zu ermöglichen. Ev. Schulzentrum Demmin vs. Coronapandemie: 0 zu 1.

Oder auch nicht!

Die Gruppe und Herr Braun hatten eine Menge über Theater, Schauspiel und den Arbeitsprozess eines Theaterteams gelernt. Dieses Wissen sollte weiter ausgebaut werden…

Herr Braun beschloss, auch im Schuljahr 2021/22 am Projekt Theaterstarter teilzunehmen – unter neuen organisatorischen Voraussetzungen: Die Projektarbeit wurde engmaschiger in den Unterrichtsablauf eingetaktet, die Gruppe neu zusammengesetzt, aus alten Hasen und Grünschnäbeln. Die Teilnehmenden organisierten sich in unterschiedlichen Bereichen (Musik, Kostüm, Bühnenbild, Requisite…) und feilten gemeinsam am Thema sowie den Szenen des Stücks. Doch das ist eigentlich die Geschichte von „Herr Käthe“ und gehört in einen neuen Bericht über einen neuen Theaterstarter in Demmin…

Zusätzlich gefördert durch: